Premiere vor 100 Jahren - Chaplins "The Kid": Film zum Lachen und Weinen (2024)

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Slapstick-Komödie und hartes Sozialdrama, klamaukig und anrührend: Charlie Chaplins Stummfilm "The Kid" ist beides zugleich. Offensichtlich verarbeitete Chaplin im Drehbuch viel aus seiner eigenen Kindheit. Am 16. Januar 1921 feierte der Film in New York Premiere und wurde bald zum Welterfolg.

Von Katja Nicodemus |

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    Eine kleine Dachkammer mit schrägen Wänden, ein Tisch, zwei Stühle, ein Kohleofen – an diesem ärmlichen Schauplatz spielen die zentralen Szenen von Charlie Chaplins Film "The Kid". Sein Held ist die von Chaplin erfundene Kunstfigur mit dem schwarzen Schnurrbärtchen, dem Gehstock, dem zu kleinen Hut, den ausgelatschten Schuhen. Zu Beginn des Films findet dieser freundliche Vagabund an einer Straßenecke ein ausgesetztes Baby. Er nimmt das Waisenkind zu sich, macht aus der Dachkammer eine Kinderstube: Mit einer aus Schnüren gebauten Wiege, mit Windeln aus Bettlaken, mit einer Kaffeekanne, die mit Schnuller zur Nuckelflasche wird. Es sind die anrührenden Bilder der Nächstenliebe, der spontanen Väterlichkeit, einer improvisierten Elternschaft, die den Stummfilm "The Kid" zu einem Welterfolg machten.
    "Ein Film mit einem Lächeln und vielleicht einer Träne", heißt es im Vorspann von "The Kid". Und tatsächlich schwankt man beim Zuschauen zwischen Lachen und Weinen, wenn der Vagabund seinem inzwischen fünfjährigen Schützling in der ärmlichen Stube aus einem riesigen Topf einen Brei aus undefinierbaren Brocken auf den Teller türmt. Wenn auf dem Gesicht des kleinen Jungen alles zugleich zu sehen ist: Hunger, Erwartung, Entbehrung, Freude – und Grundvertrauen zu seinem Ziehvater.

    Binnen drei Jahren Kinostart in 50 Ländern

    "The Kid" feierte am 16. Januar 1921 in New York Premiere und kam in den drei folgenden Jahren in rund fünfzig Ländern heraus. In einem Interview sagte Chaplin:

    "Schon länger wollte ich etwas machen, was zumindest für mich ein ernster Film ist. Ein Film mit Ironie hinter den komischen Szenen, ein Film, der unter seiner spielerischen Ebene Mitleid hervorruft, mit einem Gefühl der Satire unter der ausgelassenen Clownerei."

    Coogan für Chaplin der beste Darsteller, mit dem er je arbeitete

    Das Drehbuch schrieb Charlie Chaplin dem sechsjährigen Darsteller des kleinen Jungen auf den Leib: Jackie Coogan, den er auf einer Vaudeville-Bühne entdeckt hatte. Coogan war ein Naturtalent und laut Chaplin der beste Darsteller, mit dem er je gearbeitet habe. Der Junge spielte mit einem für die Stummfilmzeit ungewöhnlichen, hochlebendigen Realismus: Da ist seine aufgeregte Mimik, wenn er in fremden Häusern Fensterscheiben einwirft, die Chaplins Figur gegen Geld reparieren wird. Da ist sein kindlicher Stolz, wenn er auf dem Kohleherd Pfannenkuchen backt und auf die Teller türmt. Und da ist das dramatische Herz des Films. Die wohl ergreifendste Szene, die Chaplin je gedreht hat: Mitarbeiter der Fürsorge wollen den Kleinen seinem Ziehvater entreißen, ihn ins Waisenhaus bringen. In der Dachkammer gibt es ein wildes Gerangel. Es ist eine Schlacht, in der ein verzweifelter Vater um sein Kind kämpft. Das Entsetzen und die Angst auf Coogans Gesicht wirken erschütternd echt. Mehr als ein halbes Jahrhundert später berichtete der Schauspieler in einem Fernsehinterview von den Dreharbeiten zu dieser legendären Chaplin-Szene:
    "Er sagte: Kamera! Action! Und da war es um mich geschehen. Ich drehte durch, ich wollte meinen Daddy, ich war hysterisch. In diesem Moment musste ich unglaublich dramatisch spielen. Und es fordert schon etwas von einem Kind, so zu weinen, mit echten Tränen, die aus den Augen schießen. Ich erinnere mich, dass Chaplin mir genau erklärte, was ich tun sollte und warum ich es tun sollte. Er sagte: Jackie, dieser kleine Junge wird von seinem Freund fortgerissen. Und da Chaplin die Szene so dramatisch schilderte, sah ich sie auch vor meinem inneren Auge."

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    Charlie Chaplin - Geistesgegenwart und Fantasie als Überlebensstrategie
    Wenn ihn der Blick des Gegners trifft, zieht er den Hut. Wenn es gefährlich wird, rennt er davon. Der kleine Mann wehrt sich mit nichts als seinem Witz, seinem Mut und seiner Schläue gegen die Mächtigen. Damit erfüllt Charlie Chaplin die Sehnsucht nach Umkehr der gesellschaftlichen Ordnung, von der alle Komik lebt.

    Charlie Chaplin selbst wuchs in einem Londoner Armenviertel vaterlos auf, als Sohn einer psychisch kranken Mutter. Mit sieben Jahren wurde er seiner Mutter weggenommen und in ein Waisenhaus gebracht. Die Biographen interpretierten "The Kid" stets im Zusammenhang mit seiner Kindheit.

    Chaplins wohl persönlichster Film

    Ein halbes Jahrhundert nach der Premiere komponierte Chaplin selbst die Musik zu seinem wohl persönlichsten Film. Es war ihm ein Anliegen, ihn noch zum Klingen zu bringen. Perfekt schmiegt sie sich den heiteren, dramatischen, burlesken, tragischen Tonlagen der Bilder an. "The Kid" formuliert wie kein anderes Werk Chaplins künstlerisches Credo: Kino zu machen zwischen hartem Realismus und Slapstick, Komödie und Sozialdrama, Lächeln und Tränen.

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